«Mit Verlaub, oh Herr,
du spielst ein Stück Holz.»
du spielst ein Stück Holz.»
Gespräch mit dem Gekreuzigten*
*Persönlicher Mitarbeiter von Don Camillo (*1946) Geschichte der legendären Don-Camillo-Filme: siehe ganz unten. ©Willi Näf. willinaef@willinaef.ch |
Vielen Dank oh Herr, dass du dir die Zeit nimmst für ein Gespräch.
Immer gern. Worum soll es denn gehen? Um Don Camillo. Sehr schön. Ich liebe seine Filme. Du hast ja selber mitgespielt. Das war eine feine Sache. Ich spielte den Gekreuzigten in der Kirche. Eine naheliegende Besetzung. Und die Rolle war relativ leicht. Ja, dreizehn Kilogramm sind wenig für ein Kruzifix dieser Grösse. Balsaholz ist eins der leichtesten Hölzer und ein klasse Werkstoff. Der Tischler Emilio Bianchini und der Bildhauer Bruno Avesani haben das Kruzifix eigens für die Filme geschaffen und dabei so viel Liebe hineingesteckt, dass sie heute noch von allen gespürt wird, die es besuchen. Das Filmrequisit existiert noch? Aber ja. Im Drehort Brescello. Von Parma aus ist man mit dem Zug innert einer halben Stunde dort, zumindest wenn weder das Bahnpersonal noch ihr Rollmaterial streiken. Italien … Ich liebe dieses Land! Es ist so schön unperfekt. Mein Kruzifix hängt übrigens nicht im Museo di Don Camillo e Peppone, sondern in Don Camillos Kirche Santa Maria Nascente, links von der Pforte in einer kleinen Seitenkapelle. Der Film kam Anfang der Fünfzigerjahre in die Kinos und es pilgern immer noch Menschen an den Drehort? In manchen Jahren sind es fünfzigtausend, aus aller Welt. Die haben Don Camillo und Peppone im Fernsehen gesehen. Er ist ja zum Weihnachtsklassiker geworden wie Drei Haselnüsse für Aschenbrödel und andere Süssigkeiten. Was hat Don Camillo denn mit Weihnachten zu tun? Im Advent sehnen sich die Leute nach dem Geist, der stets vereint. Und von dem ist Don Camillo durchdrungen. Die höchsten Einschaltquoten erreichen Filme mit einem witzigen, liebevollen und befreiend kindlichen Spirit. Was ist das Erfolgsgeheimnis des Films? Das Erfolgsgeheimnis? Ja, das Erfolgsgeheimnis. Das Erfolgsgeheimnis ist meine Mimik. Deine Mimik? Siehst du ein Problem? Mit Verlaub, oh Herr, du spielst ein Stück Holz. Spiel du ein Stück Holz, während dir gegenüber Fernandel wiehert. Da keine Miene zu verziehen fällt schwer. Holz kriegst du nur glaubwürdig hin mit method acting. Mir ist das so gut gelungen, die Leute haben mich tatsächlich für ein Stück Holz gehalten. Das warst du doch auch. Hast du schon mal ein Stück Holz sprechen hören? Oh Herr, ich wiederhole die Frage und bitte um eine ernsthafte Antwort: Ist der Geist, der stets vereint, das Erfolgsgeheimnis des Films? Bei Klischees wie «Erfolgsgeheimnis» fällt mir das ernst bleiben schwer. Erfolg hat immer mehrere Ursachen, und ein Geheimnis ist keins, wenn man drüber spricht. Aber um deine Frage doch noch zu beantworten: Ja, der Film ist getragen vom Spirit der Versöhnung. Das Spiel der Charaktere berührt. Don Camillo und Peppone mit ihren Widersprüchen und Schwächen muss man lieben. Und mit deiner eigenen Rolle bist du zufrieden? Sogar sehr! Meine Autoren haben mich richtig gut hinbekommen, als lebensechten Gekreuzigten mit genauso grossem Herzen. Vor allem darf ich Don Camillo und allen andern Filmfiguren guten Willen unterstellen. Das kann ich auswendig. Don Camillo und Peppone prügeln sich aber wohl kaum aus gutem Willen. Nein, sondern weil sie sture Idealisten und stolze Hitzköpfe sind. Eben. Dafür können sie aber nicht viel. In der Wiege kann kein Menschlein das Temperament dosieren, welches es auf den Lebensweg mitbekommt, und auch nicht, wieviel Kinderstube. Natürlich können sie zeitlebens an sich arbeiten. Aber bei Saftwurzeln in der Liga von Don Camillo oder Peppone hat der gute Wille nun mal Aussetzer. Hast du ihnen ihre Aussetzer vergeben? Nein. Kleinkram dieser Grössenordnung können die Direktbetroffenen untereinander regeln. Wenn Don Camillo Peppone vergibt und Peppone Don Camillo, werde ich mich nicht einmischen. Und wenn sie einander nicht vergeben? Vergibst du dann auch nicht? Ich möcht’s mal so sagen: Vergebung ist die Schlüsselqualifikation für mein Jobprofil als Retter, und ich bin von Haus aus der beste Vergeber auf dem Arbeitsmarkt der Weltanschauungen. Mit der Kreuzigung habe ich ja meinen Leistungsausweis abgelegt. Von mir müssten die Don Camillos und Peppones dieser Welt also lernen, wie sie einander selber vergeben können. Übungsanlagen schaffen sie sich ja reichlich, wenn sie sich ständig verdreschen. Und? Lernen sie’s? Nicht alle. Aber für mich ist Aufgeben ist keine Option. Für die meisten Leute sind eigene Beulen das effizienteste Lehrmittel. Aber mit etwas Lebenserfahrung stellen dann doch viele fest, dass sie selber mehr profitieren als die, denen sie vergeben. Inwiefern? Vergebung ist ein Akt von Selbstbefreiung. Millionen Menschen auf dieser Welt beweisen das. Wenn selbst KZ-Insassen erzählen, wie sie ihren Peinigern vergeben und sich selber damit aus dem Opfersumpf befreien konnten – das sind die grossen Geschichten der Menschheit, an denen kommt niemand vorbei. Darf ich davon ausgehen, dass du nie verurteilst, sondern stets vergibst? Keineswegs. Ich verurteile andauernd. Aber es gibt andauernd Freisprüche. Ach. Und wie bekommst du deine Freisprüche hin? Mit mildernden Umständen. Zum Beispiel? Erstens: Das Opfer vergibt dem Täter. Wo kein Ankläger, da kein Schuldspruch, das habe ich ja bereits erwähnt. Zweitens: Ein positives Motiv mit einem erfolglosen Abschluss. Kann passieren. Drittens: Erkenntnis und aufrichtige Reue. Reue haut alle um. Was, wenn keiner dieser mildernden Umstände zutrifft? Irgendwelche findet man immer. Taten aufgrund falscher oder unvollständiger Informationen, Dummheit, Überforderung, was weiss ich, und wenn alle andern Stricke reissen: Gnade vor Recht. Du tust offenbar alles für Freisprüche. Der Werkzeugkasten für Freisprüche ist so riesig, es wäre ja reine Verschwendung, ihn nicht auszuschöpfen. Vor allem steht er auch euch Menschen zu Verfügung. Ihr müsst nicht mal in den Baumarkt dafür. Mildernde Umstände sind kosten- und schwerelos, sie verstopfen keinen Stauraum für’s Handgepäck und sie sind hochansteckend. Unter uns gesagt: Verurteilen ist Scheisse. Aber zitier mich nicht, mit einem solchen Wortschatz möchte ich nicht in Verbindung gebracht werden. Was mir nicht klar ist, oh Herr: Bist du der Richter oder der Verteidiger? Beides. Ach. Ja. Ich darf mir auch mal ein wenig Allmächtigkeit gönnen, wozu sonst ist man Gott. Und wer ist der Ankläger? Auch ich. Ich bin zu dritt. Vater, Sohn und Heiliger Geist. Ah, die drei aus dem Vaterunser. Genau. Unsere Arbeitsteilung ist recht simpel: Der Heilige Geist macht den Ankläger. Wegen der schöpfungstechnischen Balance von Gut und Böse, ihm sind einige Dinge heilig, er ist da sehr empfindlich. Ich als Sohn mache den Verteidiger. Gott als Vater macht den Richter. Auf seinem Richterpult liegt das alte Testament mit den zehn Geboten, auf meinem Tisch liegt das neue Testament. Wer sich von mir vertreten lässt, wird rausgepaukt. Ich kriege den Richter immer herum. Warum? Weil mein neues Testament besser ist als sein altes. Wäre das alte Testament ein Kracher gewesen, hätte es keine Fortsetzung gebraucht. Hoppala! Du fängst an, die zehn Gebote zu relativieren. Nicht doch. Die jüdischen Universalgebote der ersten Stunde halte ich in Ehren, auf meinem Balsaholz-Kruzifix steht immerhin «König der Juden». Das neue Testament ersetzt das alte nicht, es ergänzt es nur. Das alte setzt auf Recht, das neue auf Gnade vor Recht. Ich sage ja, du relativierst die zehn Gebote. Tu ich nicht, aber meinetwegen, lass uns so ein Gebot mal konkret durchspielen. Wähl mal eins aus. Du sollst nicht töten. Gut. Also, soll ein Christ töten? Nein. Richtig. Bei jenen bedauernswerten Mitmenschen übrigens, die davon noch nie gehört haben, sind natürliche Ladehemmungen vorinstalliert, Gewissen, Skrupel, Angst, Scham und so weiter. Kennst du Dietrich Bonhoeffer? Deutscher Theologe, Hitlers Sondergefangener, hingerichtet kurz vor Kriegsende. Du bist ein Streber. Was ist mit Bonhoeffer? Er fragte sich, ob ein Christ gegen das Gebot «Du sollst nicht töten» verstossen darf, wenn es sich um einen Tyrannenmord handelt. Hitler. Richtig. Bonhoeffer knetete das Thema theologisch, ethisch und moralisch ordentlich durch und kam zum Schluss: Ja, der Christ darf Unrecht in Betracht ziehen, um grösseres Unrecht zu vermeiden. Manchmal ist es geradezu ein Muss. Zum Beispiel? Wenn in deinem Estrich sieben Juden sitzen und die Gestapo vor der Türe steht, sollst du lügen, dass die Schwarten krachen. Mit andern Worten: Wenn dein Motiv ist, andere zu schützen, dann werden Gebote und Regeln plötzlich flexibel. Ich frage dich: sollst du bei rot anhalten, während bei deiner Frau auf dem Beifahrersitz die Presswehen im Minutentakt kommen? Sofern auf der Kreuzung kein Fahrradverkehr herrscht … Siehst du, und schon setzt dein gesunder Menschenverstand ein. Kein Gesetz und keine Regel ist so absolut, wie es scheint. Herz und Verstand hast du mitbekommen, um sie einzusetzen. Und das musst du, denn es ist nicht immer alles so eindeutig, wie man es gerne hätte. Wenn im Estrich nicht Juden sitzen, sondern ein syrischer Flüchtling mit einem neueren Handymodell als du, und die Tochter des freundlichen Beamten an der Türe geht mit deinen Jungs in dieselbe Klasse – dann wird’s plötzlich ekelhaft kompliziert. Da wäre ein einfacher Masstab hilfreich. «Einfach» ist im Leben oft zu einfach. Ein Katalog voller Handlungsanweisungen für jede Lage wäre meterdick. Das Leben ist eine dichte Aneinanderreihung einmaliger und nicht wiederholbarer Situationen, Umstände, Voraussetzungen, Sachzwänge und Abwägungen. Und jede Frau und jeder Mann nimmt jeden Moment anders wahr, jeder Mensch fühlt, tickt, empfindet, interpretiert, versteht oder missversteht die Dinge anders – und entscheidet anders. Trotzdem wären klarere Entscheidungshilfen praktisch. Selber denken macht müde, ich weiss. Aber dir stehen etwa zehntausend Gebote, Gesetze und Regeln als Leitplanken zu Verfügung, innerhalb derer du dich entscheiden kannst. Und dein Herz flüstert dir im entscheidenden Moment ja wohl auch noch etwas zu. Das «Herz», ja? Stellt das für dich ein Problem dar? Du verzeihst mir, aber das «Herz» ist eine Plattitüde vom Kalenderblatt. Die Wahrheit ist für alle da und darf auch mal einfältig klingen. Ausserdem hat «Herz» sich durchgesetzt als Bezeichnung für den Hauptsitz von Anstand, Respekt, Solidarität, Empathie, Nächstenliebe und anderen Gewürze fürs Leben. «Herz» ist kurz und man kann es sich merken. Ja, gut. Na also. Und wenn du in guten Zeiten in dein Herz hinein horchst, wirst du auch in schlechten Zeiten hören, welche Tipps es dir bei Gewissenfragen gibt. Das solltest du ohnehin regelmässig tun, um deine Motive zu hinterfragen. Selbstbetrug ist kein mildernder Umstand. Grips einschalten ist ja auch nicht verboten. Grips ist aber sehr ungleich verteilt. Aha, die Message ist also angekommen. Genau darum kannst du nicht alle Menschen über denselben Kamm scheren. Manche haben zehn Talente, andere nur eins. Also bezieht man die Ausgangslage mit ein und legt unterschiedliche Masstäbe an. Darum sollten die Talentierten sich hüten, auf die weniger Talentierten hinab zu blicken. Das vertrage ich verdammt schlecht. War das auch off the records? Im Gegenteil, das darfst du zitieren, mitsamt Ausrufezeichen! Wenn sich nun ein Entscheid nachträglich als verhängnisvoll herausstellt? Dann kannst du mit Tischen um dich schmeissen oder dich bei mir beschweren wie Don Camillo, bis du dich wieder beruhigt hast. Entscheide sind immer Risiko. Man trägt es leichter, wenn man weiss, dass es erlaubt ist, Dinge zu verbocken. Fehlerfrei sollen nicht die Entscheidung und Handlung sein, sondern das Motiv. Lieber wahrhaftig als perfekt. Das sagst du, als Gottes Sohn? Aber ja doch. Nur weil der Jesus von Nazareth seit 2000 Jahren von den Gemälden herunterblickt wie eine Mutter Theresa mit einer Überdosis Kamillentee, ist er noch lange kein lammfrommer Mitmensch. Ich habe die kantigsten Köpfe zu Jüngern gemacht. Warum? Mit den Wahrhaftigen kann ich es einfach besser als mit den Perfekten. Mir war ohnehin keine Gesellschaft schlecht genug, um mich in ihr wohl zu fühlen – korrupte Beamte, promiskuitive Damen, Mitglieder der Sekte der Samariter, gottlose Heiden, Offiziere der Besatzungsmacht, Widerstandskämpfer. Also die Stigmatisierten. Genau. Spannend sind doch jene, die nichts zu sagen haben. Bei denen mit der grossen Klappe weiss man eh schon, was sie denken oder zu denken glauben. Sprichst du von den Pharisäern? Zumindest von einigen. Die Sorte gibt es überall. Sie wohnen gegenüber, sie sitzen im Büro nebenan, sind deine Chefs oder regieren Länder, kleinliche Besserwisser, die immer exakt wissen, was richtig und was falsch ist, die kein Herz haben aber Macht, die Kleinigkeiten zu Gesetzen umschwurbelten und sie immer zu eigenen Gunsten auslegen, die subtilen Auserwähltheits-Sprech pflegen und sich im Scheinwerferlicht am wohlsten fühlen und … … bist du dabei, die Fassung zu verlieren? Ja sicher, ich bin auch nur ein Mensch geworden. Wäre nicht Selbstbeherrschung christlicher? Oh, höre ich da einen als Suggestivfrage getarnten Vorwurf? Was du hörst, weiss ich nicht. Ich höre, dass du offenbar genaue Vorstellungen davon hast, was richtig und was falsch ist. Vielleicht auch eher, was vernünftig ist und was gedankenlos. Darüber lässt sich diskutieren. Im Tempel habe ich einmal die Tische der Händler umgeschmissen, bis ihnen die Opfertiere um die Ohren geflogen sind. Das war nicht vernünftig, aber ganz Jerusalem hat etwas dabei gelernt, und wer die Geschichte liest, lernt auch heute noch was. Ausserdem hat Don Camillo ja auch mehrfach mit Tischen um sich geworfen – herrlich. Aber du hast ihn dafür getadelt. Doch nur weil es so im Drehbuch stand. Jetzt machst du das Drehbuch verantwortlich. Aus dir werde ich nicht wirklich schlau. Gut so, da bleiben dein Grips und dein Herz wach. Ich habe ja auch bei Don Camillo lieber Fragen aufgeworfen als ihm Antworten gegeben. So ist er dann selber auf die richtige Lösung gekommen. Gewählt hat er aber meist freudig die falsche. Richtig. Aber auch hier gilt: Er und viele andere haben was dabei gelernt. In die Nesseln gesetzt hat er sich übrigens schon gerne, als er noch der Wortführer meiner Jünger war. Wer. Don Camillo? Damals hiess er natürlich noch Simon Petrus. Jetzt nimmst du mich auf den Arm. Ich bitte dich! Denk doch mal nach. Grosse Klappe vor der Schlacht, kleinlaut nach der Niederlage, immer viel verbockt, aber stets von Herzen dabei. Die Illustratoren der Kinderbibeln müssten den Petrus eigentlich mit Don Camillos Pferdegesicht zeichen. Don Camillo ist also Reinkarnation von Simon Petrus? Sag nicht, du hast vergessen, dass Don Camillo bloss Literatur ist? Nun, äh, doch, und da drängt sich die Frage auf, ob auch Simon Petrus bloss Literatur ist. Nein. Der wurde schon im ersten Jahrhundert in Rom verehrt, dafür gibt es archäologische Zeugnisse. Die römischen Christen betrachteten meinen Lieblings-Haudrauf als meinen Stellvertreter. Der Petersdom heisst wegen Petrus so. Camillodom hätte mir auch gefallen. Don Camillo hat es ja auch nach Rom geschafft. Aber nicht bis zum Papst, nur bis zum Monsignore. Genau, in Film vier. Die letzten zwei Sätze des Films sind wunderbar: «Sind es Märchen, die wie wahre Geschichten klingen, oder wahre Geschichten, die wie Märchen klingen? Wer will das entscheiden!?» Und, wer entscheidet? Die Leserin und der Leser. In deinem Fall also du. Ich denke, es sind Märchen, die wie wahre Geschichten klingen. Wenn du es sagst. Der beste Wortwechsel der gesamten Serie findet sich auch im vierten Film. Welchen meinst du? Den kurzen Dialog, als Monsignore Don Camillo nach drei Jahren in Rom eines Tages voller Heimweh in seine Kirche in Brescello zurückkehrt. Richtig, und ich begrüsse ihn mit: «Sieh einer an, Don Camillo.» Woraufhin er gerührt auf die Knie geht, zu dir hinauf blickt und sagt: «O Herr, wie oft habe ich dich gerufen in den letzten drei Jahren, doch du hast mir nie geantwortet. Aber hier ist deine Stimme plötzlich wieder da. Ist Gott den Menschen hier näher als in Rom?» Erinnerst du dich an meine Antwort? Deine Antwort war: «Gott ist den Menschen überall gleich nah, Don Camillo. Hier scheint er dir nur näher zu sein, weil du dir selbst näher bist.» So ist es. Genau so. Wahrer geht’s nicht. Wer sich selbst nah ist, ist Gott nah. Und wer Gott nah ist, ist sich selber nah. Mach dich also ruhig auf den Weg zu dir. Gekreuzigter, vielen Dank für das Gespräch. Gern doch, jederzeit wieder. |
Die Entstehung von «Don Camillo»
Don Camillo hat neun Väter. Oder zehn.
Eher zehn.
Don Camillo hat neun Väter. Oder zehn.
Eher zehn.
Das Städtchen existiert nicht. Es heisst Boscaccio. Auch der Bürgermeister existiert nicht. Er heisst Giuseppe Bottazzi, genannt Peppone. Ebenfalls nur eine Figur aus der Literatur ist Dorfpriester Don Camillo. Doch er pflegt die Intimfeindschaft mit seinem Erzfreund Peppone kraft seines Amtes und seiner Oberarme mit einer solchen Hingabe, dass er sich seinen Platz als Literatur- und Filmklassiker schon in den Fünfzigerjahren gesichert hat.
Vater I. Autor Giovannino Guareschi schafft das Kunststück, 1908 am Tag der Arbeit zur Welt zu kommen, während auf dem Platz vor dem Haus seiner Eltern die Italienischen Kommunisten rote Fahnen schwenken und rote Reden schwingen. Sozialistenführer Giovanni Faraboli präsentiert der Menge seinen frisch geborenen Namensvetter mit den Worten: «Wer am 1. Mai auf die Welt kommt, wird ein führender Sozialist werden!» Nach erfolgreicher Absolvierung seiner Kindheit in der Provinz Parma übernimmt Guareschi als junger Journalist zwar Farabolis Stalin-Schnurrbart und seine Energie, aber politisch erweist er sich als Konservativer ohne kommunistischen Rot- oder faschistischen Braunstich. Beim Waffenstillstand von Cassibile 1943 weigern er und seine Kameraden sich, weiter für Mussolini gegen die Alliierten zu kämpfen. Guareschi wird von den Deutschen verhaftet und verbringt eineinhalb Jahre als Zwangsarbeiter in vier Lagern. Bis auf die Knochen abgemagert kehrt er nach dem Krieg zurück nach Italien, beweist Humor und gründet die satirische Wochenzeitschrift «Candido». Von nun an karikiert der 37-Jährige messerscharf die Kommunisten und die Katholisch-Konservativen, die im Italien der Nachkriegszeit verbissen darum kämpfen, welche Weltanschauung den Faschismus ersetzen soll. Guareschi bildet diese Realität ab in Kurzgeschichten über «eine kleine Welt, ein Landstädtchen irgendwo in Norditalien». Er tauft sein Schlachtfeldchen Boscaccio und giesst ein feines Ensemble skurriler Zinnsoldaten. In seinen zwei Hauptfiguren, Don Camillo und Peppone, legt er einen hübschen Zwiespalt an: Die beiden prügeln sich zwar ohne Unterbruch, doch eigentlich schlägt das Herz des katholisch-konservativen Priesters genauso sehr für besitzlose «Proletarier» wie das Herz seines Gegenspielers. Dieser wiederum geisselt den Priester tagsüber als reaktionären Pfaffen, nachts aber schleicht er sich in die Kirche zur Mutter Gottes oder zum Priester, weil er ein schlechtes Gewissen hat oder in der Patsche sitzt. Als selbständiger Kleinunternehmer hat der glühende Kommunist temporär sogar Verständnis für kapitalistische Besitzstandwahrung – beispielsweise wenn er einen riesigen Lottogewinn vor seiner Partei geheimhalten will. Mit seinen überraschenden Geschichten entlarvt Autor Giovannino Guareschi die Ideologen als Maulhelden. Vor allem Peppone und seine kadavergehorsame rote Brülltruppe lässt er oft an sich selber auflaufen. Doch Guareschi begleitet die Kurzgeschichten gern mit dem Hintergrundrauschen der Versöhnung. Bisweilen geht die Initiative dafür von der ungewöhnlichsten Figur auf Guareschis Spielwiese aus, vom gekreuzigten Christus am Hochaltar in Don Camillos Kirche. Der verwickelt seinen Priester nämlich gerne in kurze Gespräche – oder umgekehrt – und reflektiert dessen wutanfällige Schnapsideen sanft ironisch. In Italien, wo der kalte Krieg besonders heiss tobt, lesen die Leute Guareschis humorvolle Kabinettstücke als Plädoyer für pragmatische Annäherung. Und das ist es, wonach sie sich sehnen. Es ist Guareschis Verleger, der ahnt, wieviel sich damit anfangen lässt. Väter II. und III. Der Mailänder Verleger Angelo Rizzoli nötigt Giovannino Guareschi, seine Kurzgeschichten zu einem Episodenroman zu verquicken. 1948 bringt er «Don Camillo und Peppone» heraus und verbringt das Folgejahr damit, sich die Hände zu reiben: Der witzige Schelmenroman wird in zwanzig Sprachen übersetzt, allein die deutsche Ausgabe verkauft sich 250’000 Mal. Guareschi meint trocken: «Ich war, bin und werde Journalist bleiben. Dass mein Verlagshaus aus meinen Artikeln Bücher macht, ist nicht meine Schuld». Angelo Rizzoli bleibt für den Rest seines Lebens die treibende Kraft hinter dem kommerziellen Erfolg von Don Camillo. Für die Verfilmung holt er den renommierten Film-Produzenten Giuseppe Amato an Bord. Rizzoli/Amato klopfen bei grossen italienischen Regisseuren an, darunter Vittorio De Sica oder Alessandro Blasetti. Doch die haben Angst, von der einflussreichen kommunistischen Partei Italiens Haue zu bekommen. In den USA gerät der Buchknüller in die Hände von Regisseur Frank Capra («Arsen und Spitzenhäubchen»), der sich mit einem langen Brief geradezu um die Rechte bewirbt und für die Hauptrolle Spencer Tracy verpflichten will. Doch Capra ist noch bei Paramount verpflichtet, Rizzoli und Amato aber wollen vorwärts machen. Schliesslich finden sie ihren Regisseur in Paris. Väter IV. und V. Der bekannte französische Regisseur Julien Duvivier steigt in das Projekt ein und holt für’s Drehbuch seinen Weggefährten René Barjavel an Bord. Giovannino Guareschi gehen die ersten Entwürfe des Drehbuch zu weit. Für seinen Geschmack ist es verkürzt, die Kommunisten kommen zu gut weg, Peppone ist ihm zu wenig Funktionär und zu sehr Mensch und Don Camillo kommt ihm zu salopp und kindlich vor. Er versucht, Einfluss zu nehmen und seine politischen Aussagen wieder einzubringen, findet aber kein Gehör. Duvivier/Barjavel fokussieren auf Komik und Versöhnung. Die Besetzung der Hauptrollen trägt auch nicht zu Guareschis Entspannung bei. Väter VI. und VII. Guareschi möchte durchaus gerne einen Komiker als heissblütigen Priester, auch und gerade weil es im katholischen Italien der Fünfzigerjahre eine delikate Sache ist. Aber Duvivier/Barjavel und Rizzoli/Amato entscheiden sich für einen Komiker mit Schuhgrösse 48, Pferdegebiss, hervorquellenden Augen und umwerfender Mimik – nämlich für den im wahrsten Sinn des Wortes grossen Fernandel. Fernandel ist kein Schauspieler, sondern ein Ereignis. «Er hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit meinem Don Camillo», murrt Guareschi, der ahnt, dass Fernandels Komik den Film annektieren und damit entpolitisieren wird. Glücklich ist Guareschi immerhin mit Gino Cervi als Peppone. Der Stalinschnauzer sieht ihm selber verblüffend ähnlich und ist ebenfalls ein cholerisches Energiepaket. Gedreht wird im Städtchen Brescello rund zwanzig Kilometer nordöstlich von Parma, und Guareschis Ahnung bestätigt sich: Fernandel spielt die Rolle seines Lebens, Cervi gibt den kommunistischen Bürgermeister mit demselben Furor, die Komik und Dynamik zwischen den beiden Protagonisten lassen noch die letzten im Drehbuch verbliebenen politischen Positionsbezüge von Autor Guareschi verblassen. Guareschi fühlt sich missverstanden. Er wollte bissig und humorvoll zeigen, wie die Welt ist, doch Duvivier und Barjavel zeigen heiter und versöhnlich, wie die Welt sein könnte. Der Autor verspürt nicht wirklich Freude über den fertigen Film, indes, die Aufmerksamkeit ist riesig. Die Zensurbehörden aller Länder diskutieren die Freigabe des Werks. Spaniens katholische Kirche verhindert, dass der Haudrauf-Priester in die Kinos kommt. In der Sowjetunion ist es die Partei, die das zersetzende Machwerk verbietet – das Verständnis für Komik hielt sich bei kommunistischen Funktionäre in Grenzen, selbst für ihre eigene unfreiwillige. In grossen Teilen der übrigen Welt aber tritt «Don Camillo und Peppone» einen überwältigenden Siegeszug an. In den deutschen Kinos bekommt der Film Ovationen. Deutschland zeichnet den Kassenschlager mit dem Bundesfilmpreis aus als «besten Film zur Förderung des demokratischen Gedankens». Die Washington Post bringt eine achtseitige Sonderbeilage über Don Camillo und das italienische Filmschaffen. Giovannino Guareschi schluckt leer und arrangiert sich zügig mit dem Erfolg, lobt Fernandels schauspielerische Wucht und verkneift sich weitere Kritik am Regisseur. Duvivier und Barjavel realisieren noch einen zweiten, nicht minder erfolgreichen Film. Es folgen drei weitere Filme anderer Regisseure, ein sechster Film bleibt unvollendet, weil Fernandel während der Dreharbeiten das Zeitliche segnet. Die Drehbücher des dritten und vierten Films schreibt Autor Giovannino Guareschi selber. Seine Plots sind einfallsreich wie eh und je, doch der Reiz des Neuen ist weg und Filmkritik wie Publikum monieren einen Mangel an feinen Ironien – es sind nur noch Komödien, aber keine berührenden Evangelien der Versöhnung mehr. Don Camillo und Peppone haben ihren Schöpfer überlebt: Giovannino Guareschi stirbt 1968. Don Alessandro Parenti stirbt 1980, Don Camillo Valota 1998. Don who? Väter VIII. und IX. Guareschis Vorstellung eines Gottesmannes wurde wohl von vielen Priestern mitgeformt, doch es sind zwei, die alle andern überragen. Don Alessandro Parenti war über vierzig Jahre lang der äusserst eigenwillige Priester von Trepalle, dem höchstgelegenen ganzjährig bewohnten Dorf Europas auf 2250 Metern über Meer zwischen Bormio und Livigno. Don Parenti brachte fliessendes Wasser ins Dorf, elektrischen Strom, Telefon und eine Tankstelle, und er setzte die Winteröffnung der Strasse nach Bormio durch. Dass manche seiner mausarmen Schäfchen schmuggelten, focht den Hirten nicht an. Grenzen seien eine Erfindung des Menschen, bemerkte er trocken. 1948 schrieb Giovannino Guareschi in seinem Satiremagazin: «Ich empfehle euch, Don Parenti zu besuchen. Beim Sprechen brüllt und gestikuliert er.» Der zweite reale Don Camillo war Namensgeber für Guareschis Filmfigur: Don Camillo Valota, Priester in Frontale di Sondalo zwischen Bormio und Tirano. Wie Guareschi war auch er beteiligt am Waffenstillstand von Cassabile, schloss sich dann dem Widerstand an und brachte mit seiner Partisanengruppe Juden von Italien über die Alpen in die Schweiz. 1944 wurde er von den Faschisten verhaftet und durchlitt, wiederum wie Guareschi, vier Lager der Deutschen, darunter Mauthausen und Dachau. Ob Guareschi und Valota sich in Cassabile oder in einem KZ kennenlernten, ist nicht bekannt. Nach Ausbruch des Friedens kümmerte Valota sich als Kaplan um die italienischen Arbeitsmigranten in den ostfranzösischen Kohlbergwerken. Wie alle geistesgrossen Gottesmenschen haben wohl auch Don Camillo Valota und Don Alessandro Parenti mit dem Gekreuzigten stetes Zwiegespräch geführt – und dabei gelegentlich einen hilfreichen Impuls bekommen, so wie ihr Abbild Don Camillo. Vater X. Ob der Gekreuzigte am Hochaltar in Don Camillos Kirche bereits bei der Entwicklung der Geschichten, Drehbücher und Inszenierung inspirierend tätig war, hat er selber bislang weder bestätigt noch dementiert. Womöglich, weil ihn noch niemand danach gefragt hat. Zitate «Herr Jesus, denke an meine Verdienste und lass mich diese Kerze auf Peppones Schädel zerschlagen. Was kann ihm da schon gross geschehen.» Don Camillo «Ist es Gift?» «Nein, etwas mit Salbei.» Don Camillo und Peppone «Oh Herr, wer wird die Menschen jemals begreifen?» «Ich, Don Camillo.» Don Camillo und der Gekreuzigte «Ohne deine Wege kritisieren zu wollen, oh Herr, muss ich dir sagen, dass ich, wenn ich du wäre, nie erlaubt hätte, dass Peppone Bürgermeister wird». Don Camillo «Oh Herr, es ist schwer, mit dir zu diskutieren.» Don Camillo «Dummheit ist kein Schutz vor Unglück.» Fräulein Christina. «Die Geschichte wird nicht von Menschen gemacht. Die Menschen sind der Geschichte unterworfen, wie sie der Geografie unterworfen sind.» Giovannino Guareschi «Der Hunger, der Dreck, die Kälte, die Krankheiten, die verzweifelte Sehnsucht nach unseren Müttern und unseren Kindern, der tiefe Schmerz über das Unglück unserer Heimat haben uns nicht besiegt. Nie haben wir vergessen, zivilisierte Menschen zu sein mit einer Vergangenheit und einer Zukunft.» Giovannino Guareschi über seine Zeit in Gefangenenlagern. «Selten einmal rühren sich in Frankfurt für einen Film ohne anwesende Hauptdarsteller die Hände zum Beifall. Bei Don Camillo geschah es.» FAZ, 28.11.1952 «Die grandioseste Komik, die wir je sahen … Christen und Kommunisten lachen befreit, verklärt, weil über alles Trennende, um dessentwillen sie sich die Köpfe vertrommeln, jedes Mal die Liebe siegt, wenn Not am Mann ist. Gott, wenn Stalin und der Papst sich so einigen könnten, wie dieser liebe Camillo und dieser treffliche Peppone!» Wiesbadener Tagblatt, 5.12.52 «Am liebsten möchte man das Kino nicht verlassen, sondern sich diese filmische Inkarnation so oft ansehen, bis sie Auge, Ohr, Verstand und Herz – Herz ist wichtig! – derart aufgenommen haben, dass sie als unvergessliche Dauerprojektion jederzeit verfügbar ist, wenn eiserne Vorhänge niederzurasseln drohen. Es ist ein Meisterwerk, verschmitzt und voller Tiefsinnigkeit. Es ist deftig und zart, es ist, um Tränen des Lachens und des Weinens gleichzeitig zu vergiessen.» «Telegraf», Berlin, 1951 |