Liebe Kreative meines Workshops: Schön, seid ihr da.
Unten das Manuskript, grob gesäubert.
Es hat sicher noch Unsauberkeiten darin.
Aber eine Krone ist ja auch erst vollständig,
wenn ihr ein, zwei Zacken fehlen. Gell.
Und hier die besprochenen Texte:
Novembertext
Der bockige Messias
Lesetipp: Constantin Seibt,
«Deadline. Wie man besser schreibt.»
Noch zwei Lesetipps:
Seit ich tot bin, kann ich damit leben
Gesegnet sei das Zeitliche
Unten das Manuskript, grob gesäubert.
Es hat sicher noch Unsauberkeiten darin.
Aber eine Krone ist ja auch erst vollständig,
wenn ihr ein, zwei Zacken fehlen. Gell.
Und hier die besprochenen Texte:
Novembertext
Der bockige Messias
Lesetipp: Constantin Seibt,
«Deadline. Wie man besser schreibt.»
Noch zwei Lesetipps:
Seit ich tot bin, kann ich damit leben
Gesegnet sei das Zeitliche
Werkstatt Kreatives Schreiben
2023 © Willi Näf
2023 © Willi Näf
Fang an, bevor du musst Ohne Disziplin keine Kreativität. Wer auf den letzten Drücker schreibt, liefert unreifen Mist. Geist heisst Spiritus. Inspiriert schreiben heisst geistreich schreiben. Der Geist weht, wann er will. Kurz vor Abgabetermin weht er selten. Es braucht Zeit. Fürs überarbeiten und reifen lassen. Kommt eine Schreibaufgabe, erstell sofort das Dokument … … in dem du den Text schreiben wirst. Setz die Eckdaten rein: Worüber, für wen, wie lang, bis wann, Stilrichtung. Auch wenn der Abgabetermin erst in einem halben Jahr ist. So bleibt der Auftrag bleibt präsenter. Und wenn du im Alltag Impulse, Ideen, Gedanken hast, die dazu passen könnten, dann weisst du grad, wohin du es notieren kannst. Bau eine Lagerhalle für Ideen, Themen, Inspirationen 1 Berg ausgeschnittener Zeitungsartikel. 1 Ordner auf dem Compi, «Stoffe». 1 Dokument, «Stoffe» mit jeweils wenigen Zeilen über ein mögliches Thema, vielleicht auch nur die Adresse einer Website. Fotografier Zeitungsabschnitte. Kannst du in einem halben Jahr wieder löschen. Mach Screenshots von instagram oder Whatsapp-Dialogen. Inspiration fischen im Lebensstrom Manche sehen überall Physik, Designs, Hilferufe, Strukturen. Oder Geschichten. Begreif Dein Leben als Strom von Geschichten. Begegnungen, Erlebnisse, Lektüren, Träume, Impulse, Ideen. Ein gewaltiger Amazonas. Geh wach durchs Leben. Behalt das Fischernetz draussen. Du wirst Ideen einfangen für deinen Text. Und du wirst Beifang machen, den du in der Lagerhalle (siehe oben) ablegen kannst. Erspür deine persönlichen ergiebige Situationen für Inspiration und nutze sie gezielt: Biken, Joggen, Duschen, Coiffeur, Auto fahren, dösen, wandern … Beobachte und empfinde dich. Du bist randvoll mit Sehnsüchten, Träumen, Ängsten, Idealen, Sorgen, Glücksgefühlen, Komik, Schwächen, Stärken, Beziehungen, Liebe und Wut, Trauer, Geheimnissen, Gottesvorstellungen, Jenseitsvorstellungen, Weltbilder, Vorurteilen, Motiven, Blockaden, Charaktermerkmalen, Skepsis, Vorlieben, Abneigungen … Beobachte dich. Was interessiert dich, was gefällt dir, was provoziert dich, wie reagierst du wann worauf wie warum? Deine Reaktionen auf Erlebnisse, Lektüren, Gedanken. Was auf dich wirkt, wirkt auch auf andere. So bekommst du wirkmächtige Geschichten. Deine persönliche Gutschreibezeit Schreiberinnen arbeiten mit der Kreativität wie Wellenreiter mit den Wellen: Lernen, an welchen Küsten zu welchen Tages- und Jahreszeiten die besten Wellen kommen. Rechtzeitig dort sein. Parat zum Aufsteigen. Nicht die Agenda soll den Takt bestimmen, sondern Leistungsfähigkeit von Körper und Geist. Tageszeit Da sind die meisten Autoren am Kreativsten, die Gedanken sind am klarsten. Super für Kreativarbeit sowie Feinschliffe. Am Nachmittag eher Fleissarbeit, Recherchieren, Transkribieren, Rohschreiben. Am Abend je nach Präferenz. Nachteulen können hier noch einmal einen Flow erleben. Der Abend eignet sich oft zum Stichworte sammeln, brainstormingartig Rohmaterial reinhauen, das man am nächsten Tag oder in der nächsten Woche oder noch später morgens bei frischem Geist strukturieren, verknüpfen, ergänzen kann. Wenn du steckenbleibst: Unterbrich. Erzwingen bringt nichts. Was du jetzt noch zwei Stunden lang herbeiwurstelst, wirst du es am nächsten Morgen genervt löschen und innert einer Viertelstunde neu und viel besser schreiben. Nachtzeit Du kannst probieren, abends im Bett an den pendenten Text anzudocken. Lass deine Gedanken beim Einschlafen im Thema mäandern, nimm dir vor. Beim Aufwachen am morgen lenk die Gedanken im Halbdusel wieder ins Thema. Gut möglich, dass du innert weniger Minuten im luziden Halbschlaf ein Feuerwerk an Impulsen und Formulierungen bekommst. Danach sofort festhalten, notieren, notfalls Sprachnachricht an dich selber. Schlaf Genügend. Manche schwören auf Mittagschläfchen. Maximal 20 Min. Das räumt den Kopf auf, der Nachmittag wird effizienter. Essen Voller Bauch schreibt nicht gern. Tennisspielerinnen essen bissweise Banane. Nicht zufällig. Ich esse nichts Zmorge, Zmittag ein Müesli. Znacht richtig, aber im Fall einer anschliessenden Nachtschicht nicht zu schwer. Sport Wird unterschätzt. Hält auch den Geist wach. Manche Autoren müssen morgens erst 45 Minuten fitten, um die nötige Spannung aufzubauen. Spür du, was dir gut tut. Stimmung Schweres Herz studiert nicht gern. Wer schlecht drauf ist, soll nichts erzwingen. Spannungen im Büro oder daheim: Mit dem Lap anderswo arbeiten. Kleine Schreibarbeiten nicht planen vor einer schwierigen Sitzung. Schreibumgebung Die Umgebung beeinflusst Stimmung und Kreativität. Nenn dein Büro ab sofort Schreibstube oder wenigstens Schreibecke. Schreib lieber im Estrich mit Blick hinaus (Über-Blick) als im Büro im Keller. Störfaktoren? Killen. Heizung etwas zurückschrauben, öfter lüften, bequemer Stuhl, indirektes Licht, aufgeräumt arbeiten, Ungeliebtes aus dem Blickfeld verschieben (keine Steuererklärung rumliegen haben). Und klar: Türe zu. Insta, Whatsapp, Telefon, Mailbox abschalten oder auf lautlos. Spür dich! Es schlägt sich nieder. Drei Sprachen gibt es!
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Denksprache.
Archaisch. Privatgelände. Unsichbar, unverstellt, unkultiviert, unmoralisch, unreflektiert unsäglich, unzumutbar. Natur pur. Tipp: Für sich behalten. Sprechsprache. Relativ naturbelassen, aber etwas kultiviert. Gebündelt, zumutbar. Einfache Struktur, überschaubarer Wortschatz, je nachdem wie dir der Schnabel gewachsen ist. Manche sind nüchtern, andere geschwätzig, aber sie sind meist authentisch. Das ist die Stärke der Sprechsprache. Schreibsprache. Hochindustriell verarbeitet, überreguliert, verzweckt. Viele gescheite Substantivierungen, Abstraktionen, Phrasen, Schnörkel, Schwurbel, Lithurgie. Oft weit entfernt von der archaischen Denk- und der naturwüchsigen Sprechsprache. Die Achillessehne der Schreibsprache ist der Zwecksprech: Kunstsprech, Politsprech, Wissenschaftsprech, Wissenschaftssprech, Politsprech, Jurasprech, Pastorensprech. Achtung Mistverständnis (kleiner Scherz): Man kann auch in der Schreibsprache schwatzen oder in Sprechsprache schreiben. Ersteres macht das Geschwatz künstlich. Letzteres macht das Geschriebene authentischer. Beispiel für Schreibsprache, Politsprech: «In der Tat ist es durchaus in Betracht zu ziehen, diese oder jene Alternative zu prüfen, wobei ich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit betonen möchte, dass unter den derzeitigen Umständen und besonders in Anbetracht der Möglichkeit, dass blablabla …» Heisst übersetzt in Sprechsprache: «Mir lueget emol». Phrasencheck gegen Floskeln: www.blablameter.de Schreib in der Sprechsprache!! Damit kommst du in die Köpfe des Publikums. Sprechsprache flutscht wie ein isotonischer Drink ins Blut. Die Leserin soll dich beim Lesen hören. Trick: Beim Schreiben laut lesen! Immer wieder. Immer wieder. Immer wieder. Laut. Ja, laut!!! Satz für Satz. Hören, wo der Text unnatürlich tönt. Und sofort umbauen. Entschlacken, kürzen, umstellen, bündeln, und killen: Kommas Fremdwörter Anglizismen Substantivierungen Passivverben Phrasen Schwurbel Füllwörter Ballast und Wiederholungen. Verdichten. Kürzen. Tempo machen. Das geht nur mit laut lesen und sich selber zuhören. Kreative Beispiele: November-Text Lies und spür den Text, frag dich wie er auf dich wirkt und wieso. Hier in blau einige Ausschnitte, fett die passende Verallgemeinerung. Lead: «Der November kommt. Der Hiob unter den Monaten.» Hiob verkörpert hier Leid, Trauer, Sinnlosigkeit. Verkörperungen suchen! Lead: «Humor gibt’s nicht auf Knopfdruck. Ich weiss das. Als Kabarettist wurde ich mal von der Bühne gebuht.» Deine heftigste Erfahrung bei einem bestimmten Thema benutzen zum Einstieg. Die Leser an deinen Empfindungen teilhaben lassen. Text: «Such die Nähe derer, bei denen du dich wohl fühlst, und halt dich fern von emotionalen Energievampiren. Geh früher schlafen. Du bist dann besser gelaunt und widerstandskräftiger. Koch mal ein neues Rezept. Kauf mal eine Teesorte, die du noch nie probiert hast.» Beim laut lesen bekommst du ein Gefühl für Rythmus und Takt. In diesem Beispiel fährst du weiter, gehst aus dem Aufzählungsmodus raus, machst Tempo, wechselst den Rhythmus: «Hör dir keine Requiems und kein Black Metal an, ersetz Dramen durch Komödien, lies «Glück kommt selten allein» von Eckart von Hirschhausen, oder Andreas Malessa, Hanns Dieter Hüsch, Substanzielles auf humorvoll halt, oder Bill Bryson, notfalls gräbst du noch einen alten Ephraim Kishon aus.» Text: Das beste Bibelkapitel für den November ist das Kapitel «Auch dieser Monat geht vorüber imfall.», also Prediger 3, 1-12. Die Leser werden zur Bibel greifen. Provozieren, locken, frech sein. Kreative Beispiele: Der bockige Messias Titel: «Der bockige Messias». Jesus war ein Rebell. Rebella kann man zuspitzen. Zuspitzen! Ungewöhnliche Begriffe kombinieren, aufeinanderkrachen lassen, Spannung erzeugen und dann im Text auflösen. Lead «Auf vielen Gemälden blickt Jesus von Nazareth drein wie eine Mutter Theresa mit einer Überdosis Kamillentee». In der ersten Fassung schreibst du vermutlich noch irgendwas wie «liebevoll, sanft, gütig». In der dritten Überarbeitung spürst du: Das ist kraftlos, das liest niemand. Also: Verstärken. Benutz Verkörperungen (Mutter Theresa, Kamillentee), wag Ironie (Überdosis). Doppelbödigkeit ist erlaubt, wenn sie offensichtlich und mit Humor kombiniert ist. Sowas baut Spannung auf: Die Leute wollen wissen, wie der Schreiber das jetzt auflösen wird. Natürlich muss er das dann auch abliefern. Lead: «Der Künstler-Jesus ist ein lammfrommer Mitmensch. (Mit-Mensch. Etwas Sozialdemokratie passt da doch, nicht?) Der Autoren-Jesus hingegen ist wild; ein Vagabund und Querulant zweifelhafter Herkunft, der seine eigene Hinrichtung provoziert.» Neue Blickwinkel suchen. Die Dinge mal von einer andern Seite her betrachten. Solche Passagen entstehen oft, wenn man verdichten muss. Kürzen schafft Tempo. Text: «Begleitet von seiner Entourage vagabundiert der Prediger und Heiler durch die Gegend und übt Verzicht; Verzicht auf den Schweiss seines Angesichts.» Jünger? Klingt lahm und fad. «Entourage» ist spannungsreicher. «Herumziehen»? Gähn. «Vagabundieren» weckt die Leute mehr. Synonyme! woxikon.de, dwds.de, https://wortschatz.uni-leipzig.de/de Text: «Der Lebenswandel des Wanderpredigers ist ein Affront gegenüber allen reinen Mitbürgern, die ihr täglich Brot auf redliche Weise verdienen, die teilzeit arbeiten, fairtraide einkaufen, ihre langen Haare zum «man bun» knoten und bei Frauen ausschliesslich auf die inneren Werte achten.» Statt «brach mit den gesellschaftlichen Konventionen seiner Zeit». Konkret machen, Bilder abrufen. Überraschende Zeit- oder Kultursprünge wagen. Zweitletzer Abschnitt: «Noch bemerkenswerter ist, dass der soziale Sprengstoff dieser vier Evangelien bis heute weltweit Detonationen verursacht. Ausbrüche von gewöhnlichem Hass und ungewöhnlicher Liebe.» Lebhaft schreiben. Chlöpfe loo. «Unabhängig von seiner Historizität krempelt der erfolgreichste Verlierer der Geschichte (Gegensätze und Widersprüche ausspielen) seit 2000 Jahren die Menschheit um. Tot ist anders.» «Tot ist anders» wirkt hier viel spannender als «Jesus lebt». Wie man drauf kommt? Indem man genau liest und bei «Jesus lebt» spürt: Oh je, das ist zum Gähnen, gibt es nicht was Besseres? Also: Genau lesen und sich dabei spüren. Weitere Beispiele Der Lead zu einer Weihnachtsgeschichte über die Herberge: «Die Bibel ist voller Geschichten, die nicht drinstehen, meint Autor XY, und schreibt diese deshalb gerne selber.» Mit Widersprüchen spielen. «Ich habe mich kawumm in eine Frau verliebt.» Sei lautmalerisch. Seit laut und malerisch. In der ersten Fassung schreibst du «Hals über Kopf». Und dann fragst du dich: Spürt man «Hals über Kopf»? Hört man da was? Äpfel mit Schnittlauch vergleichen. Ausnahmen regeln die Bestätigung. Aus Bekanntem Neues schaffen, überraschen. Lead: «Als der Schweizer Koch Anton Mosimann 2004 von Queen Elizabeth II. zum Officer of the British Empire geschlagen wird, hält er es für seinen Karrierehöhepunkt. Neun Jahre später kocht er das Dinner für die «Hochzeit des Jahrhunderts» von Prinz William und Kate Middleton. 2017 erscheint seine Autobiografie. Sie wiegt drei Kilogramm und zählt vierhundert Seiten. Kürzer habe ich sie nicht hinbekommen.» Wenn es möglich ist und Sinn macht: Dich selber in einer Geschichte verorten und zum Beteiligten machen. Mit der Perspektive überraschen. Weitere Tipps Fragen aufwerfen aktiviert die Leser mehr als Fragen beantworten. Erkenntnisse nicht mitteilen, sondern auslösen. Was die Leute selber merken, bleibt länger haften. Dein bestes Spielzeug sind das Wissen, die Erwartungen, Vorstellungen, Klischees, in den Köpfen des Publikums. Setz beim Publikum ein gewisses Vorwissen voraus und fordere es ein wenig. Wage Subtext, schreib also auch mal zwischen den Zeilen. Wer es nicht merkt, verpasst nichts, und wer es merkt, ist stolz, dass du ihm zugetraut hast, dass er es entdeckt. So verbündet sich dein Leser oder Zuhörer mit dir. Zämegfasst: Timing Tempo Tüpflischisser Noch eine Anmerkung: Wenn du aus Zeitdruck zuviele Stunden oder Tage am Stück schreibst und überarbeitest, wirst du textblind. Dann siehst du Subtext oder Pointen oder Assoziationen nicht mehr, und redigierst sie eventuell später aus Versehen raus. Darum: Sicherheitsabstand zwischen Überarbeitungen. Text immer wieder mit frischen Augen lesen. Will heissen: früh genug anfangen! |
Wir fassen zusammen:
- Sich beobachten. - Wach lesen, wach leben. - Beim Schreiben: Früh anfangen. - 10 mal überarbeiten und kürzen. Nein, 100 mal. - Laut lesen. Laut!!! Alles! - Sprechsprache statt Schreibsprache. - Texte reifen lassen. nächtelang. - Sicherheitsabstand zwischen Überarbeitungsphasen. - Finish des Textes am Morgen! - Sich keine Illusionen machen: Je leichter sich etwas liest oder anhört, desto härter wurde es erarbeitet. Schreiben kostet Zeit und Energie. Aber ein gutes Ergebnis macht umso mehr Freude. Allen. |